Der Studienbereich Mittlere und Neuer Kunstgeschichte an der Universität Kassel, Professor Dr. Martina Sitt, hat sich in den vergangenen Jahren verstärkt mit Fragen der Ästhetisierung von Wissen im Bereich der Wissenschaftsgeschichte des späten 17. und frühen 18. Jahrhunderts beschäftigt. Als Fallbeispiel wurde der Bergpark Kassel-Wilhelmshöhe (Unesco Weltkulturerbe) als einem noch wenig erschlossenen Ort des vernetzten Wissens in Europa ausgewählt.
Das Forschungsprojekt WissensWEGE erweitert die bisherige Perspektive auf den Bergpark als „großes Gartenkunstwerk“ um wissenschaftshistorische und ästhetische Aspekte und macht damit deutlich, wie das Großprojekt „Bergpark“ als Hortus scientiae im 18. Jahrhundert sowohl naturwissenschaftliches (z.B. Geologie, Botanik) als auch ingenieurtechnisches Wissen integrierte, welches sich seinerseits ästhetischen, ökonomischen und politischen Ansprüchen zu unterwerfen hatte.
Es wurden folgende Fragen in den Blick genommen: Wie erfolgt der Wissensaustausch und Transfer zwischen den verschiedenen Wissensbereichen? Wie werden Forschungsergebnisse visualisiert und optisch vermittelt, welche künstlerischen Herausforderungen und Fragestellungen ergeben sich daraus und wie gehen die Künstler mit den Erfahrungen und neuen Anforderungen um.
Im Europa des späten 17. und frühen 18. Jahrhunderts ist ein geistiges Klima zu beobachten, das ganzheitliche Betrachtungsweisen, universelles Denken und disziplinübergreifende Theoriebildung von vielen weltbürgerlich gesinnten Wissenschaftlern als ganz selbstverständlich betrachtete. „Naturwissenschaftler“ forschten und publizierten mit „Geisteswissenschaftlern“ oder tauschten sich eng mit ihnen aus.
Ein erster Schritt in diesem Arbeitsfeld war die intensive Beschäftigung mit dem Collegium Carolinum in Kassel (gegründet 1709), das in enger Kooperation mit der Kunstkammer des Landgrafen betrieben werden durfte. Somit standen z.B. Naturalien aus dem Bergpark, Tiere aus der Menagerie, Präparate und Preziosen den Forschenden und Lehrenden zur Verfügung. Die Ergebnisse dieser Forschungen werden kontinuierlich in die dafür geschaffene spezielle Website des hessischen Archivsystem LAGIS, Thema Collegium Carolinum Kassel eingespeist und damit einer weiteren Öffentlichkeit zugänglich gemacht.
Eine Ausstellung im Spohr-Museum, erarbeitet mit Studierenden, setzte erste Ergebnisse bildlich um: WissensWege – Tausche Schädel gegen Mumie – Sammellust und Forscherdrang im Kassel des 18. Jahrhunderts
An diese erste Phase der Erforschung anknüpfend haben sich seit 2013 zwei Wissenschaftler aus dem Bereich Mittlere und Neuer Kunstgeschichte, Dr. Christian Presche und Daniel Wolf MA, im Rahmen des LOEWE-Schwerpunkts Tier-Mensch Gesellschaft – Ansätze einer interdisziplinären Tierforschung mit zwei weiterführenden Fragestellungen beschäftigt:
„Der Neue Valentini – ein historischer Überblick über die „tierischen“ Sammlungsbestände und wechselnden Präsentationsformen des Kasseler Ottoneums“ (Wolf) und „Botschaften der Tiere in der Kunst. Ansätze eines neuzeitlichen Physiologus” (Presche).
Siehe hierzu ausführlich: Website LOEWE-Projekt
https://www.uni-kassel.de/projekte/tier-mensch-gesellschaft/startseite.html
Langfristig gilt es, aus den Forschungsergebnissen mit Blick auf die aktuellen Herausforderungen einer Gesellschaft mit den typischen Problemen der Urbanisation einen Modellfall zu destillieren und aufzuzeigen, wie eine (bessere) Vernetzung unter den Wissenschaften beschaffen sein könnte und welche ästhetischen Konzepte bis heute dahinter stehen (könnten/sollten).